#wirimwandel: Interview mit Thomas Groß

Thomas Groß CEO, Helaba

Krieg, Energieversorgung, Inflation: Die Welt steht vor enormen Herausforderungen und einer grundlegenden Wende. Wie stellen Sie sich in Ihrem Institut auf diesen Wandel ein?

Der nun schon monatelang andauernde Krieg in der Ukraine macht mich und uns tief betroffen. Auch wir verurteilen den russischen Angriffskrieg, weil er Völkerrecht bricht und gegen die Menschenrechte verstößt, die für uns als überzeugte Europäer und Demokraten unantastbar sind. Im Privaten spüren bereits viele von uns die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges, vor allem die Preise für Gas, Benzin und Lebensmittel sind enorm gestiegen. Die Helaba ist mit Blick auf ihr Russland-Exposure kaum direkt betroffen und für die weitere Entwicklung gut gewappnet – dank eines diversifizierten Geschäftsmodells und der konsequenten Umsetzung unserer strategischen Agenda. Aber wir sind uns der hohen Unsicherheit in Bezug auf mögliche Zweit- und Drittrundeneffekte sehr bewusst und haben bereits umfangreiche Risikovorsorge getroffen.

Die COVID-19-Pandemie mit all ihren Folgen hat uns sehr gefordert. Während der Pandemie hieß die erste Priorität selbstverständlich, die Gesundheit aller zu schützen und dabei unseren Betrieb aufrecht zu halten. Gleichzeitig hat sich die Helaba in vielen Bereichen und Abläufen neu organisiert und Fortschritte gemacht. Das flexiblere Arbeiten zum Beispiel ist kaum mehr wegzudenken und ist unseren Mitarbeitenden auch über die Pandemie hinaus möglich. Leider ist die Pandemie noch nicht vorbei, und wir müssen weiter achtsam und auf gegebenenfalls notwendige Schritte vorbereitet sein.

Auch in der Zeit der Pandemie haben wir das Thema Nachhaltigkeit nie aus den Augen verloren. Denn Nachhaltigkeit ist für uns kein „nice to have“, sondern die Grundlage für langfristigen Erfolg und deshalb integraler Bestandteil unserer Strategie. Der besonderen Verantwortung, die wir als Landesbank für die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft haben, sind wir uns stets bewusst. 2020 haben wir unser Nachhaltigkeitsprogramm HelabaSustained ins Leben gerufen. Es setzt wesentliche Akzente in den Bereichen Strategie, Organisation, Regulatorik sowie Markt und Wettbewerb – mit dem Ziel, das Nachhaltigkeitsprofil unserer Bank zu schärfen. Wir wollen, wir müssen die natürlichen Lebensgrundlagen schützen und das Gemeinwohl fördern. Deshalb bekennen wir uns klar zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, zu den Klimazielen der Bundesregierung sowie der Europäischen Union und tragen zur Erreichung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen bei. Ganz konkret übersetzen wir die Ansprüche dieser globalen Ziele und Initiativen in echte Nachhaltigkeitsleistungen, indem wir zum Beispiel unsere Kunden mit ESG-Produkten und gezielten Beratungsangeboten bei ihrer Transformation unterstützen. 

Welche wirtschaftliche Entwicklung erwarten Sie für Deutschland in den nächsten drei Jahren, und mit welchen Auswirkungen auf den Immobilien- und Pfandbriefmarkt rechnen Sie?

Die deutsche Wirtschaft leidet unter gestörten Lieferketten und hohen Energiepreisen. Die Industrie profitiert zwar noch von rekordhohen Auftragsbeständen, kann sie aber wegen Materialknappheit nur zögerlich abbauen. Die Konsumenten werden durch die hohe Inflation belastet, auch wenn die Wirtschaftspolitik mit Entlastungspaketen gegensteuert. Dennoch ist in diesem und im nächsten Jahr Wirtschaftswachstum möglich – vorausgesetzt es kommt nicht zu einer dauerhaften Unterbrechung der russischen Gaslieferungen. In diesem Fall wäre eine schwere Rezession wahrscheinlich. Mittel- bis langfristig dürfte das Wirtschaftswachstum in Deutschland vor allem aufgrund der demografischen Entwicklung im Trend niedriger ausfallen. 

Am deutschen Immobilienmarkt dürfte sich der langjährige Aufschwung seinem Ende nähern. Vor allem der kräftige Zinsanstieg in so kurzer Zeit ist eine Herausforderung und dürfte die Nachfrage nach Immobilieninvestments dämpfen, was tendenziell für sinkende Immobilienpreise spricht. Dagegen bremsen Fachkräftemangel, hohe Baupreissteigerungen sowie Materialengpässe die Bautätigkeit, so dass das Angebot geringer ausfällt – dies könnte die Immobilienpreise stabilisieren. Insgesamt sind daher Korrekturen in einzelnen Segmente möglich, mit einem Einbruch ist allerdings nicht zu rechnen. 

Ein Ende des Aufschwungs am Immobilienmarkt könnte auch Belastungen für die Deckungswerte der Pfandbriefe mit sich bringen. Diese sind jedoch traditionell mit umfangreichen Sicherungsmechanismen ausgestattet, die weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen. Daher ist in den kommenden Jahren wohl kaum mit dem Ausfall solcher Papiere zu rechnen. Immerhin hat der Pfandbrief seit seiner Erfindung im Jahr 1769 zahlreiche Krisen erfolgreich gemeistert. Ferner ist davon auszugehen, dass der Pfandbrief in Zeiten steigender Zinsen als vergleichsweise günstiges Refinanzierungsinstrument wieder an Bedeutung gewinnt. Angesichts der mannigfaltigen Belastungen öffentlicher Haushalte spricht vieles dafür, dass gerade Kommunen künftig einen wesentlichen Teil ihres wachsenden Kapitalbedarfs über Bankkredite finanzieren werden. Darlehen an Gebietskörperschaften bilden seit jeher einen wichtigen Teil der Deckungsmassen öffentlicher Pfandbriefe. Zudem dürfte die Sicherheit gedeckter Anleihen gerade in unruhigeren Zeiten bei den Anlegern stärker nachgefragt werden. 

Kreditinstitute nehmen bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen eine Schlüsselrolle ein. Was ist Ihr Appell an Aufsicht und Politik?

Politik und Wirtschaft stehen in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen wie Dekarbonisierung, Deglobalisierung, Digitalisierung und Demografie. Die Finanzierung dieser Aufgaben (auch) durch Kreditinstitute muss sichergestellt werden. Zu starke regulatorische Einschränkungen könnten deren Finanzierungsmöglichkeiten beeinträchtigen und damit die Umsetzung dieser wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele gefährden.  

Die Regulierungsreformen nach der Finanzmarktkrise haben die Bonität des Sektors wesentlich gestärkt. Ein Fokus der Regulierung liegt nun auf den Risiken, die sich aus dem Klimawandel bzw. der Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit ergeben. Die Herausforderungen für Institute und Regulatoren sind hierbei äußerst komplex, wie das Beispiel Taxonomie zeigt. Vielfach sind individuelle Lösungen gefragt und sollten auch stärker ermöglicht bzw. unterstützt werden. Während ein geeigneter regulatorischer Rahmen Voraussetzungen für einheitliche Bedingungen und Transparenz herstellt, muss daher auch ausreichend Flexibilität erhalten bleiben. Ferner sollte der vielfach sehr umfangreiche bürokratische Aufwand, der sich aus vielfältigen regulatorischen Vorgaben ergibt, massiv reduziert werden.